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Frau Neuherz, Sie arbeiten seit vielen Jahren mit Führungskräften. Warum ist Burnout-Prävention gerade für männliche Führungskräfte ein so wichtiges Thema?
Doris Neuherz: Männer in Führungspositionen tragen oft ein besonders starkes Leistungs- und Verantwortungsbewusstsein in sich. Das ist grundsätzlich eine Stärke – kann aber auch dazu führen, dass Warnsignale übersehen oder unterdrückt werden. Burnout wird häufig als persönliches Scheitern missverstanden, dabei ist es meist das Ergebnis einer systematischen Überforderung. Prävention beginnt damit, dieses Bewusstsein zu schärfen – für sich selbst und für das Team.
Wie können Führungskräfte erkennen, dass Mitarbeitende gefährdet sind?
Doris Neuherz: Ein erstes Alarmsignal ist der Rückzug: Mitarbeitende beteiligen sich weniger aktiv an Meetings, wirken erschöpft oder gereizt. Auch ein plötzlicher Leistungsabfall oder eine stark gesteigerte Fehlerquote können Hinweise sein. Ein Beispiel aus der Praxis: Ein leitender Angestellter bemerkte bei einer Mitarbeiterin, dass sie sich zunehmend verspätete, Aufgaben nicht mehr termingerecht abgab und häufig krank war. Nach einem vertraulichen Gespräch stellte sich heraus, dass sie sich völlig überfordert fühlte, aber Angst hatte, Schwäche zu zeigen.
Was können männliche Führungskräfte konkret tun, um Burnout im Team zu vermeiden?
Doris Neuherz: Es beginnt mit der eigenen Haltung. Wer offen über Stress spricht und selbst auf eine gesunde Work-Life-Balance achtet, wirkt als Vorbild. Praktisch heißt das:
- Regelmäßige Einzelgespräche führen – nicht nur zur Leistungsbeurteilung, sondern auch zum emotionalen Check-in.
- Aufgaben klar priorisieren und unrealistische Erwartungen reduzieren.
- Psychologische Sicherheit fördern, also eine Kultur, in der Fehler erlaubt und Fragen erwünscht sind.
In einem Teamworkshop mit einem IT-Unternehmen beispielsweise haben wir gemeinsam ein Frühwarnsystem entwickelt: Jeder Mitarbeiter durfte eine persönliche „Stressampel“ einführen – rot für „ich bin überlastet“, grün für „alles im grünen Bereich“. Dieses einfache System hat die Kommunikation über Belastung erleichtert und das Team nachhaltig gestärkt.
Gibt es Tools oder Methoden, die Sie speziell für Burnout Prävention empfehlen?
Doris Neuherz: Ja, unter anderem das sogenannte „Energielevel-Check-In“: Am Anfang der Woche fragt die Führungskraft im Teammeeting, wie es jedem geht – auf einer Skala von 1 bis 10. Diese einfache Methode schafft Bewusstsein und eröffnet Raum für Unterstützung. Zudem empfehle ich, regelmäßig Reflexionsrunden zu etablieren, in denen nicht nur Ergebnisse, sondern auch Belastungen thematisiert und Lösungswege erarbeitet werden.
Frau Neuherz, Sie haben viel über Prävention im Team gesprochen – aber wie erkennen Führungskräfte bei sich selbst, dass sie auf dem Weg in ein Burnout sein könnten?
Doris Neuherz: Eine sehr wichtige Frage. Viele meiner Klienten – vor allem Männer in Führungsrollen – erkennen erste Warnzeichen bei sich selbst erst sehr spät. Das liegt an der tief verankerten Erwartung, immer „funktionieren“ zu müssen. Doch genau das ist der gefährliche Einstieg in die Erschöpfungsspirale.
Ein einfaches Instrument ist eine regelmäßige Selbstreflexion – am besten mit einer Checkliste, die ehrlich beantwortet wird.
Checkliste: Droht mir ein Burnout?
Wenn Sie mehr als 4 Punkte regelmäßig mit „Ja“ beantworten, ist es Zeit, aktiv gegenzusteuern:
- Fühlen Sie sich trotz ausreichend Schlaf morgens erschöpft?
- Haben Sie das Gefühl, ständig erreichbar und nie „fertig“ zu sein?
- Verlieren Sie zunehmend Interesse an Dingen, die Ihnen früher Freude bereitet haben?
- Reagieren Sie schneller gereizt – z. B. auf Kollegen, Familie oder Kleinigkeiten?
- Erleben Sie körperliche Symptome wie Verspannungen, Kopfschmerzen oder Magenprobleme – ohne klare Ursache?
- Haben Sie das Gefühl, „funktionieren“ zu müssen, auch wenn es Ihnen schlecht geht?
- Vernachlässigen Sie bewusst Pausen oder Auszeiten, um Zeit zu sparen?
- Zweifeln Sie in letzter Zeit öfter an Ihrer Leistungsfähigkeit oder Führungsrolle?
Was tun, wenn mehrere Punkte zutreffen?
Doris Neuherz: Es geht nicht darum, sofort alles zu ändern, sondern sich selbst zu erlauben, innezuhalten. Schon ein Coaching-Gespräch kann helfen, Klarheit zu schaffen. Viele Männer empfinden es als Befreiung, wenn sie lernen, ihre Grenzen zu respektieren – und nicht immer der „Fels in der Brandung“ sein zu müssen. Stärke zeigt sich heute auch in der Fähigkeit, Hilfe anzunehmen und bewusst gesund zu führen.
Praxis-Tipp: Viele meiner Klienten führen mittlerweile ein kurzes „Wo-stehe-ich-journal“ – ein wöchentlicher Check-in mit sich selbst, 5 Minuten Reflexion am Freitagabend. Diese kleinen Routinen verhindern, dass man sich selbst aus dem Blick verliert.
Ein letzter Rat für unsere Leser?
Doris Neuherz: Nehmen Sie sich selbst ernst. Wer seine eigene Belastungsgrenze kennt und achtet, kann ein kraftvolles Vorbild für das Team sein. Führung bedeutet heute nicht nur, Ziele zu erreichen – sondern auch, Menschen gesund und motiviert dorthin zu führen.
Zur Person: Doris Neuherz
Doris Neuherz ist Expertin für Teamentwicklung und Führungskräfte-Coaching. Sie begleitet Unternehmen in der DACH-Region und befähigt Führungskräfte und Teams dabei, auf gesundem Wege ihr volles Potenzial zu entfalten.
Mehr unter: coaching-neuherz.at